07. Theorie & Tohuwabohu

Sonntag, 18. Mai 2008

07. Theoie & Tohuwabohu

Auf der Frankfurter Buchmesse im September 1968 ist das Buch „Klau mich“ von Rainer Langhans und Fritz Teufel bereits am ersten Tag vergriffen!

Es wird überhaupt viel gelesen zu dieser Zeit - habe ich gelesen. Neben einer exzessiven Haartracht und betont unkonventioneller Kleidung gehört das Buch (meist ein Werk über Faschismustheorie oder Kapitalismuskritik) zum obligatorischen, um nicht zu sagen: zum modischen Accessoire derjenigen, die sich dem Geist der Revolution verpflichtet fühlen. Man liest Herbert Marcuse und Ernst Bloch, Karl Marx natürlich und Theodor W. Adorno. Man kann unterstellen, dass für viele dieser Autoren und ihre Bücher das gleiche galt wie für Rudi Dutschke: er war ein charismatischer Redner, den kaum jemand verstand.

Aber nicht nur von den Theoretikern, den Wissenschaftlern verlangte man politisches und gesellschaftliches Engagement. Auch die Literatur sollte dem Anspruch auf eine revolutionäre, mindestens aber kritische Sicht auf die Welt genügen. Was nicht irgendwie politisch war, was nicht in irgendeiner Art und Weise die gesellschaftlichen Zustände literarisch und künstlerisch reflektierte, entbehrte damit automatisch jeder ernsthaften Legitimation. Bereits 1965 erscheint das erste von Hans Magnus Enzensberger herausgegebene „Kursbuch“. Es wird bis weit in die 70er Jahre das literarische „Zentralorgan“ meist linker Intellektueller bleiben. Enzensberger verkündet lautstark den Tod der Literatur und beklagt damit doch nur das Fehlen der revolutionären Literatur.

Auch im „Kursbuch“ treibt die Theorie fröhliche Urständ. Und dass das von internationalen Autoren geschriebene Magazin zeitweise beachtlich hohe Auflagen erzielt, muss heute, in Zeiten in denen Information meist nur noch in kleinen leicht verdaulichen Häppchen verabreicht wird, angesichts der Titel mancher Beiträge, verwundern: „Undurchschaubarkeit und Evidenz in modernen Sozialsystemen“ oder „Rotfront Faraday. Über Elektronik und Klassenkampf. Ein Interpretationsmuster“ oder auch „Zur Kritik der progressiven Intelligenz in Deutschland“. Nein, leichte Kost und Eingängliches waren nicht gefragt. Solche Art der literarischen Produktion hätte sich dem Verdacht ausgesetzt unkritisch und konsumfreundlich zu sein und damit evident eine Affirmation des kapitalistischen Systems dokumentiert. Klar, das war uncool!

Bis zu den literarischen Selbstfindungsprozessen und dem exzessiven Seelenstriptease der 80er Jahre, dem was dann Postmoderne heißen sollte, war es noch ein weiter und nicht vorhersehbarer Weg. Und doch war es vor allem die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, den die Literatur der 68er anstieß und vorantrieb. Als Sohn des selbsternannten „Reichsarbeitsdichters“ Will Vesper, dessen Bücher in den 50er und 60er Jahren noch in zahllosen deutschen Bücherregalen standen, und als langjähriger Lebensgefährte von Gudrun Ensslin, verfasste Bernward Vesper mit seinem Roman-Fragment „Die Reise“ den Nachlass einer ganzen Generation. Einer Generation, die sich kollektiv mit der Schuld ihrer Väter im Nationalsozialismus auseinandersetzen wollte. Viele setzten sich mit dem System auseinander. Nur ganz wenige wählten den Weg über die eigene Biografie, so wie Bernward Vesper. Sein Leben und seine Geschichte stehen auf erschreckende Weise exemplarisch für eine ganze Generation: aufgewachsen im Schatten der Nachkriegszeit, klein gehalten im kleinbürgerlichen Mief, angesteckt vom politischen Aufbruch der Zeit, orientierungslos, halbstark und haltlos zugleich, verzweifelnd an der Übermacht des Vaters, Reisen, Fluchten, Drogen, das nebelhafte Gefühl einer großen abgestorbenen Leere, ein früher Tod.

„Wir sind aufgewachsen im kalten Krieg, die Kinder von Murks und Coca-Cola.“ Auch das waren die 68er.

Teil VIII "In Boots nach Summerhill" folgt in Kürze.

01. Flimmern und Rauschen
02. Die Rillen der Revolution
03. Haare
04. Der gute Rausch
05. Zur Sache, Schätzchen!
06. Odyssee im Kino
07. Theorie & Tohuwabohu
08. In Boots nach Summerhill
09. The doors of perception
10. Raubtier und Gefährte: time is fading
20. Literatur
30. Zum Schluss: Rechte und Haftung
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