02. Die Rillen der Revolution

Samstag, 3. Mai 2008

02. Die Rillen der Revolution

Ich bin mit Vinyl aufgewachsen. Schallplatten hatten bereits früh Kultstatus. Schallplatten waren nicht einfach nur funktionale Tonträger, Schallplatten mussten – und ich sage das nicht ohne eine leichte Wehmut über den Verlust des Unwiederbringlichen – mit Sorgfalt und Vorsicht behandelt werden. Ihre Oberfläche wurde mit Anti-Statik-Tüchern von Staub befreit und manche Puristen spielten ihre kostbaren Scheiben nur nass ab. Schallplatten hatten eine erste Seite und eine Rückseite, die bei den Singles Flipside hieß. Es glich oft einem Ritual, die Saphirnadel auf die äußere Rille oder auf den breiteren Zwischenraum zwischen zwei Stücken zu setzen, ohne zu zittern und also die Scheibe nicht durch Kratzer zu beschädigen. Mein erster Plattenspieler war der Mister Hit von Telefunken, ein kompaktes Gerät, in dessen durchsichtigem, abnehmbarem Kunststoffdeckel der Lautsprecher integriert war. Aber das war erst Mitte der 70er.
Meine erste bewusste Begegnung mit der Musik der Zeit, die gleichzeitig, wenn man so will, meine musikalische Erweckung war – zumindest markiert sie den Beginn meiner wachsenden musikalischen Neugierde - war der Nummer-Eins-Hit des Jahres 69, „Ob-La-Di, Ob-La-Da“. Nicht eben eine Hymne der Revolution und heute, nach rund 40 Jahren, eher in die Kategorie „alberne Unbekümmertheit“ abzulegen. (Als Howard Carpendale den Song 1996 coverte, war mir das ein unabweisbarer Beleg dafür, dass ich damals ganz eindeutig unter Geschmacksverirrungen gelitten hatte.) Ich trällerte den Song wochenlang auf dem Schulweg und auch auf dem Nachhauseweg, albern und unbekümmert. Die Flipside der Single kannte ich damals noch nicht. Dabei war „While my Guitar gently weeps“, mit dem fulminanten Gitarrensolo von Eric Clapton, vielmehr und viel stärker Ausdruck der 68er. Später erst, etwa Mitte der 70er, als ich das Weiße Album für mich entdeckte, das nummerierte Doppelalbum mit Poster und vier Hochglanzporträts, die sofort an die Wand gepinnt wurden, „Revolution“ und „Back in the U.S.S.R.“ hörte und vor allem den wohl besten Song „Happyness is a warm gun“, wuchs mein Respekt (oder war es nur eine pubertäre Faszination?) vor einer Bewegung, einer Zeit, einem Lebensgefühl, deren Anfänge da bereits fast 10 Jahre zurücklagen.
Im selben Jahr, als halb Deutschland also albern und unbekümmert „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ trällerte, fand im US Bundesstaat New York, auf einer Viehweide bei Bethel, das wohl bedeutendste Musikfestival der Zeit statt, das zugleich der Höhepunkt der amerikanischen Hippiebewegung war. Geschätzte 400.000 Teilnehmer erlebten Woodstock als ein Musik- und Drogen-Happening. Hier spielten natürlich weder die Beatles noch die von ihren Fans zum proletarischen Gegenblock erklärten Rolling Stones. Woodstock, das war die amerikanische Hippiekultur, der Jimmy Hendrix mit seiner Version der amerikanischen Nationalhymne, dem „Star Spangled Banner“, am Ende des Festivals einen zugleich wehmütigen und anklagenden musikalischen Gegenentwurf zum offiziellen Amerika lieferte, einem Amerika, das seine Söhne in den Vietnamkrieg schickte.
Die „Musik aus Studio B“, die Chris Howland wöchentlich präsentierte, war harmlos, brav und passte fabelhaft in die neue bunte Warenwelt der 60er Jahre. Vermutlich erinnert sich auch deshalb niemand mehr an sie. Anders war es mit dem „Beat Club“. Schon allein deshalb, weil er von Uschi Nerke moderiert wurde und Gogo-Girls in kurzen Röckchen vor der Bühne herum zappelten und weil dort „richtige“ Musik gespielt wurde, live. Aber ich glaube, ich habe das nur am Rande mitbekommen. Wenn überhaupt.
„Stell den Krach ab!“ war der regelmäßige Kommentar vieler Eltern, die zwar „I want to hold your hand“ in einer Hazy-Osterwald-Bigband-Version auf ihren Feten mit Salzbrezeln und aufgespießten Käsewürfeln hörten, Jimmy Hendrix aber für „Negermusik“ hielten und dem wachsenden Drogenkonsum ihrer Kinder mit Entsetzen, Hilflosigkeit und dem Repertoire derer reagierten, für die Härte und Autorität die Mittel zum Erfolg waren, auch im Privaten.
Es war ein Soundteppich, der über der Zeit lag, besser gesagt, der durch sie hindurch geknüpft wurde und ihr dadurch – rückblickend – eine Form, eine Gestalt gab. Dazu gehörten die zahlreichen Clubs, Jugendheime und Treffpunkte, die plötzlich wie Pilze aus dem Boden schossen. Vor allem aber gehörten die Jugendlichen mit ihren Gitarren dazu. Und mit ihren Bands. Kellerräume, Garagen und Kinderzimmer wurden zu Proberäumen. An den Wänden hingen Poster von Jefferson Airplane, Ten Years After, Carlos Santana und Frank Zappa. Und in der Luft lag der süße schwere Duft von Patschuli und Haschisch, der nach draußen drang, wo ich in kurzen Lederhosen stand, die Taschen mit Knallplättchen, Abziehbildern und irgendwelchen Indianerfiguren vollgestopft und nur dabei sein wollte. Ich wollte mich nur in irgendeine Ecke kauern und den Großen, die mein Bruder und seine Freunde waren, anhänglich, staunend und still zuhören. Und mich irgendwie, unbestimmt aber jungenhaft zugehörig zeigen. Vielleicht war ich da aber auch schon acht oder zehn Jahre alt, trug Jeans und hatte mich das erste Mal verliebt. Dem Wunsch nach Zugehörigkeit und dem Gefühl der Anhänglichkeit tat das keinen Abbruch.

01. Flimmern und Rauschen
02. Die Rillen der Revolution
03. Haare
04. Der gute Rausch
05. Zur Sache, Schätzchen!
06. Odyssee im Kino
07. Theorie & Tohuwabohu
08. In Boots nach Summerhill
09. The doors of perception
10. Raubtier und Gefährte: time is fading
20. Literatur
30. Zum Schluss: Rechte und Haftung
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