09. The doors of perception

Sonntag, 1. Juni 2008

09. The doors of perception

“The times they are a-changin’” – näselnd und krächzend gab Bob Dylan mit diesem Song einer ganzen Generation ihr Motto. Die Zeiten änderten sich und mit ihnen veränderte sich die Gesellschaft in nahezu allen Lebensbereichen. Politischer Aufbruch und kollektiver Bewusstseinswandel wurden zu Schlagwörtern. Orientierung versprach oft nur der Widerspruch gegen Konvention, Anstand und Tradition. Neben Gewalt war der Konsum von Drogen der andere massive Ausdruck von Widerstand und Protest.

„Wer halluzinogene Drogen raucht oder einwirft, um die Chemie im Hirn zu verändern, streift Enge im Denken ab, löst sich vom materialistischen Streben und dringt in spirituelle Bewusstseinsdimensionen vor.“ Das hätte auf den Beipackzetteln von LSD, Meskalin, Heroin und auch von Haschisch und Marihuana stehen können; all jenen und zahlreichen anderen Drogen, deren Konsum in den späten 60ern bis weit in die 80er Jahre hinein einen gesellschaftlichen Wandel ganz eigener Art kennzeichnete. Zwischen Ekstase und Lethargie, zwischen Widerstand und Flucht, und zwischen Ohnmacht und Selbsterfahrung durchlebten viele eine kurze Illusion. Denn Beipackzettel gab es nicht. Oder waren die Songtexte von Jim Morrison, Jimi Hendrix oder auch den Beatles die wahren Beipackzettel? „Break on through to the other side“ als unverhohlene Anspielung auf die bewusstseinserweiternde Wirkung des LSD, ebenso wie „Lucie in the Sky with Diamond“ dessen Abkürzung LSD lautet. Musik und Drogen gingen zu dieser Zeit eine untrennbare Verbindung ein. Und so überrascht es nicht, dass viele Eltern bereits die Musik, die ihre halbwüchsigen Kinder hörten, für gefährlich hielten. Vielleicht, denke ich heute, war manche Musik nur unter Drogen erlebbar, andere vielleicht nur unter Drogen erträglich.

Bereits Anfang der 70er Jahre wurde Haschisch in den Niederlanden legalisiert. Die deutschen Hascher schafften es immerhin einen „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen“ zu gründen. Angesichts der Tatsache, dass sie latent breit waren, eine beachtliche Leistung.

Nach dem Motto „Versuch macht klug“ haben wir natürlich auch mit Drogen experimentiert. Eines Tages erzählte irgendjemand, dass Lianen „high“ machen würden. Also trafen wir uns im Wald, im Mucherwiesental oder im waldigen Dickicht oberhalb des Menzenbergs, schnitten uns zigarrengroße Lianenstücke von den Bäumen und rauchten was das Zeug hielt. In einem Zustand zwischen Andacht, Meditation und wachsender Übelkeit warteten wir auf die verheißene Wirkung. Nachdem wir unser vorverdautes Mittagessen auf dem Waldboden zurückgelassen hatten, versuchten wir es Wochen später mit Muskatnuss. Die Folgen dieses nächtlichen Experiments waren ausgesprochen nachhaltig. Die Pforten der Wahrnehmung waren von Übelkeit und Brechreiz verstellt. Und noch heute öffnet der Geruch von Muskatnuss bei mir Pforten ganz anderer Art. Alles in allem: eine bedingt heilsame Übung.

Was für viele nur eine Episode exzessiver Selbsterfahrung war, blieb für einige wenige ein Horrortrip, der zunehmend die Richtung ihres Lebens zu bestimmen begann. Dass Bad Honnef in den 70er Jahren ein massives Drogenproblem hatte, hielt uns höchstens davon ab, zu den harten Drogen zu greifen. Denn den harten Drogen waren bereits einige zum Opfer gefallen. Schließlich war zu dieser Zeit in der Stadt so ziemlich alles zu bekommen, was verboten war. Und um den Markt auch für die harten Drogen zu bereiten, war Heroin zeitweise nicht nur leichter zu beschaffen, sondern auch billiger als Haschisch oder Marihuana. Für einige gingen die 70er ohne besondere Erinnerungen vorbei, andere erlebten ihr Ende nicht. Und manche blieben zurück, während sich die Platte ihres Lebens drehte und die Nadel immer wieder an der gleichen Stelle sprang.

01. Flimmern und Rauschen
02. Die Rillen der Revolution
03. Haare
04. Der gute Rausch
05. Zur Sache, Schätzchen!
06. Odyssee im Kino
07. Theorie & Tohuwabohu
08. In Boots nach Summerhill
09. The doors of perception
10. Raubtier und Gefährte: time is fading
20. Literatur
30. Zum Schluss: Rechte und Haftung
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